Qualität, Kommunikation und Kommunikationsqualität_#67
Teil 2: Kommunikationsqualität
Im 1. Teil hatte ich aufgezeigt, dass die Qualität eines Produkts, einer Dienstleistung oder einer Kombination daraus (ich fasse alle Möglichkeiten fortan unter „Produkt“) immer auch das Ergebnis von Kommunikation ist. Anforderungen an den Lieferanten werden beim Auftraggeber in Sequenzen interner Kommunikationen erzeugt und an den Lieferanten kommuniziert. Dort werden sie abermals zum Gegenstand vielfältiger Kommunikationssequenzen, werden in Klärungsgesprächen mit dem Auftraggeber diskutiert, vielleicht modifiziert, ausgehandelt und schließlich in vertraglicher Form festgeschrieben. Wenn aber die Kommunikation maßgeblich für die Qualität ist, wie steht es dann um die Qualität der Kommunikation? Vor allem aber: Wer fühlt sich zuständig dafür, diese zentrale Ressource mit einem professionellen Managementansatz zu betreuen? Nennen wir diese Funktion vorläufig „Beauftragter für Kommunikationsqualität“ – wer könnte dies sein?
„Wir machen die Unternehmenskommunikation.“
In größeren Unternehmen und Konzernen lässt bereits ein rascher Blick ins Organigramm vermuten, wo eine Funktion wie der „Beauftragte für Kommunikationsqualität“ platziert sein müsste: Es kann doch wohl nur die „Kommunikationsabteilung“ sein. Dort, so könnte man annehmen, liegt die Zuständigkeit für Kommunikation und deren Qualität.
Die Praxis zeigt: falsch gedacht. In aller Regel kümmern sich Kommunikationsbereiche um die zentralseitig ausgelöste bzw. betreute Kommunikation. Als „Sprachrohr der Unternehmensleitung“ stehen solche Kommunikationen im Mittelpunkt, die sich beschreiben lassen als „one to many“. In Form von Pressemitteilungen, Imagekampagnen, Social Media-Aktivitäten usf. (gegenüber externen Adressaten) oder der Betreuung des Intranets, der Mitarbeiterzeitung, interner Events usf. (gegenüber internen Adressaten) „spricht“ hier das Unternehmen als Einheit, repräsentiert durch den Vorstand bzw. die Geschäftsführung. Fraglos eine strategisch außerordentlich bedeutende Funktion.
Doch eine Verantwortung für die Kommunikationen, die mannigfaltig im Zuge der Prozessausführung stattfinden und deren Relevanz für die Qualität ich hier aufzeige, wird von den Kommunikationsabteilungen nicht beansprucht. Ich weiß das deshalb ziemlich genau, weil ich in mittlerweile fast 30 Berufsjahren in vielen Unternehmen und Konzernen danach gefragt habe. Noch nie erhielt ich die Antwort, dass eine Kommunikationsabteilung so etwas wie Leadership, zumindest aber eine kuratierende Funktion für Prozesskommunikation wahrnimmt (über Prozesskommunikation habe ich mich bereits mehrfach geäußert, z.B. hier sowie in den beiden Folge-Posts zu dem Thema). Es wird nicht einmal die Notwendigkeit gesehen, dass die Kommunikation, die – ich weiß, dass ich mich wiederhole – maßgeblich für die Qualität und damit für den Unternehmenserfolg ist, in irgendeiner Form Gegenstand von Managementmethoden wird: „Das ist Aufgabe der Bereiche und ihrer Führungskräfte und wie die das machen, ist deren Sache“, höre ich. Und: „Wir sind hier zuständig für die Unternehmenskommunikation!“ Manchmal frage ich zurück: „Sie sind also zuständig für die Unternehmenskommunikation, nicht aber für die Kommunikation im internen wie externen Geschäftsverkehr. Wenn es also nicht das eigene Unternehmen ist, das kommunizierend beispielsweise die Qualitätsanforderungen an Lieferanten festlegt, das diese Anforderungen an den Lieferanten kommuniziert, diese aushandelt und schließlich Verträge schließt – wer ist es sonst?“ Natürlich gibt es darauf keine plausible Antwort. Achselzuckend wird in der Regel wiederholt, dass diese Kommunikation den Bereichen obliege. Das „kommunizierende Unternehmen“ gibt es also mindestens zweimal:
- zum einen als kommunizierendes Etwas, das diese Zentralkommunikation durch eine zentrale Stelle ausführen lässt; das ist die Kommunikationsabteilung oder wie immer die Funktion bezeichnet wird;
- zum anderen als kommunizierendes Etwas, das in vielfältiger und leider allzu häufig unkoordinierter Weise kommuniziert – nicht zuletzt dann, wenn es um die Erzeugung von Qualität geht. Hier kommuniziert, wer auch immer an den Abläufen beteiligt ist bzw. beteiligt wird. Das ist längst nicht jeder, der einzubinden wäre. Dafür sind auch solche dabei, die eigentlich keine (Prozess-) Rolle spielen.
Wieso die Bedeutung der Prozesskommunikation derart übersehen wird, ist und bleibt mir ein Mirakel. Ein Versuch, meine Verzweiflung über diesen offenbar auf ewig weiterbestehenden blinden Fleck zum Ausdruck zu bringen, sei mit diesem Vergleich unternommen: Stellen wir uns Kommunikation als eine Ressource vor, die wie ein Treibstoff die Abläufe und Prozesse eines Motors überhaupt erst ermöglicht. Der Motor, der ohne den Treibstoff nicht funktionieren kann, wird eingesetzt, um etwas zu bewegen, also um Ziele zu erreichen. Damit bestimmt jener Treibstoff immer auch die Qualität der Zielerreichung. Ohne diesen Treibstoff passiert ganz einfach nichts. Wenn aber die Qualität dieses Treibstoffs nicht stimmt, dann ruckelt der Motor, und wenn der Treibstoff nicht überall dorthin gelangt, wo er benötigt wird, dann fallen diese Bereiche aus. Es liegt also ausgesprochen nahe, dass sich Menschen um diesen so bedeutenden Treibstoff und dessen Qualität kümmern. Womit wir wieder bei der oben mit leiser Ironie angesetzten Funktion eines bzw. einer „Beauftragten für Kommunikationsqualität“ landen. (Bei dieser Gelegenheit ein Hinweis: Ich meine diese Funktion nicht wirklich ernst. Mit dieser Überspitzung will ich darauf hinweisen, dass es eine solche Verantwortlichkeit eben nicht gibt.) Hand auf’s Herz: Es ist doch eigentlich kaum vorstellbar, dass eine derart zentrale Ressource allein auf persönlichem Dafürhalten und individuellen Vorlieben beruht. Oder sehen Sie das anders? Dennoch ist das die anzutreffende Praxis und zwar nahezu überall.
Trauriger Befund: die Kommunikationsqualität ist ein Zufallsprodukt
Wenn schon jene, die sich professionell mit Kommunikation befassen, diese in ihrem prozessbezogenen Aufkommen gar nicht als eine Ressource begreifen, die ihrer fachlichen Expertise bedarf, dann wundert es kaum, dass die sich selbst überlassene Kommunikation eben ist, wie sie ist: mal besser, mal schlechter. Es hängt davon ab, wer eingebunden ist. Einige wenige in meiner Beratungspraxis erlebte Beispiele im Zusammenhang des Qualitäts- und Prozessmanagements, die allesamt anonymisiert wurden, mögen illustrieren, zu welchen Problemen unprofessionelles bzw. gar nicht erst stattfindendes Kommunikationsmanagement führt:
- Auf Seiten des Kundenunternehmens werden wichtige Stakeholder nicht in die kommunikative Klärung der Anforderungen eingebunden.
- Meetings, die der fachlichen Klärung von einander widersprechenden Anforderungen dienen (z.B. Kosteneinsparung vs. Qualität der zu beschaffenden Teile), werden als Arena persönlicher Selbstdarstellung sowie für die Austragung von Abteilungskonflikten genutzt.
- Beschlüsse werden nicht sorgfältig dokumentiert, sodass kein gesichertes Ergebnis vorliegt. Daraus folgen umfängliche und ressourcenfressende Klärungsbedarfe.
- Die Ansprechpartner gegenüber dem Lieferanten sind nicht eindeutig festgelegt. Deshalb kann der Lieferant später mit Recht darauf hinweisen, dass er unterschiedliche Antworten auf seine Fragen erhalten hat. Haftungs- und Gewährleistungsansprüche aufgrund gelieferter nicht-Qualität können kaum noch durchgesetzt werden.
Und so weiter. Es geht also keineswegs allein um Moderationsfähigkeiten, Präsentationstechniken, Verhandlungsführung oder Konfliktgespräche, die sicherlich durch Kommunikationstrainings vermittelbar sind. Es geht auch um so etwas wie Kommunikationsarchitekturen: Wer ist wann einzubinden, wie werden Beschlüsse herbeigeführt und wie werden diese gesichert, wer hat welche kommunikative Funktion nach innen bzw. nach außen (z.B. als zentraler Ansprechpartner für den Lieferanten) und so fort. Diese Fragen werden durchaus beantwortet, nämlich in den Prozessbeschreibungen. Die Kommunikation wird jedoch nahezu immer als eine unproblematisch gegebene, quasi automatisch mitlaufende Ressource betrachtet, die ihrerseits keiner Qualitätsanalyse bedarf.
Kommunikationsqualität nur mit Kommunikationsmanagement
Heutzutage finden wir in den Kommunikationsabteilungen exzellent ausgebildete Menschen, die sehr wohl in der Lage wären, Lösungsansätze für Probleme wie die soeben aufgeführten bereitzustellen. Aber sie sehen sich nicht in der Pflicht, wie gezeigt. Wer mir nicht glaubt, frage im eigenen Unternehmen (oder sich selbst, so Sie in einer Kommunikationsabteilung tätig sind). Suchen wir in anderen Bereichen nach einem „Center for Competence“ (um das mit dem „Beauftragten“ wieder sein zu lassen) in Sachen Kommunikationsmanagement, dann landen wir wieder beim Zufall: Irgendjemand erkennt das Thema als relevant und findet Lösungen, die womöglich sogar ausgezeichnet funktionieren. Das aber sind Insellösungen, die zufällig und mit Glück zustande kommen und lediglich in einem bestimmten Bereich gelten. Mit einem seriös angelegten, unternehmensweit etablierten und systematisch betriebenen Kommunikationsmanagement hat das wenig zu tun. Kommunikationsqualität wird gar nicht erst als ein Gegenstand anerkannt, der eines zielgerichteten Managements bedürfte.
Dabei verschärft sich die Problematik noch. Denn seit einiger Zeit halten Organisationsmodelle in den Unternehmen Einzug, die unter dem Label „Agil“ bzw. „Agile Management“ geführt werden. Agilität (die zuweilen daher kommt wie eine neue Zauberformel, welche die aus der Mode gekommene Vokabel „Flexibilität“ ersetzt) wird allerorten als geeigneter Weg angesehen, um den Herausforderungen des digitalen Zeitalters zu begegnen. Es sei dahingestellt, ob das ohne weiteres gilt. Tatsache ist, dass mit agilen Arbeitsweisen ein zusätzlicher Kommunikationsbedarf entsteht, der besondere Anforderungen an die Kommunikation stellt. Das macht auch vor der Qualität nicht halt. Einige Gedanken zu einem „agilen Qualitätsverständnis“ und den Implikationen für die Kommunikation werde ich im dritten Teil vorstellen, der an dieser Stelle in 4 Wochen erscheint.
0 Kommentare