Ins Leben der Anderen: Veränderungskommunikation in Change-Projekten* /#8

von | 14/03/2013 | 0 Kommentare

„Wir müssen uns verändern!“ „Wir brauchen Change.“ So und ähnlich schallt es aus den Unternehmen. Allerorten scheint es dringenden Änderungsbedarf zu geben. Mal geht es um das Geschäftsmodell, mal um die Unternehmenskultur, mal um die Prozesse und manchmal geht es um die Einstellung und Haltung der Belegschaft. Allerhöchste Eisenbahn also in Sachen Change?

Es ist aufschlussreich, über die gesamte Unternehmenshierarchie nach dem wahrgenommenen Veränderungsbedarf zu fragen. Keineswegs nämlich herrscht durchgängig die Überzeugung vor, dass es einen tiefgreifenden Wandel wirklich brauche. Und schon sind wir bei einem Kernproblem für jedes Veränderungsvorhaben: bei der Kommunikation. Ich behaupte: Die üblichen Ansätze zur Veränderungskommunikation greifen zu kurz. Denn sie finden in ausgewählten Medien und dramaturgisch durchgestylten Veranstaltungen statt. Aber sie kommen nicht da an, wo sie für nachhaltigen Erfolg ankommen müssten: im Alltag. Das belegen nicht nur vielfältige eigene Erfahrungen, sondern auch Studien:

  • Die Global CEO-Studie von IBM bestätigt: Veränderungsprojekte scheitern häufig, rund 50% haben wenig bis gar keinen Erfolg und nur 15% sind als „sehr erfolgreich“ anzusehen.
  • Auch bei Fusionen oder Übernahmen und den hieraus resultierenden Ver­änderungen des Geschäftsmodells fällt die Bilanz ausgesprochen mäßig aus, wie Bain & Company ermittelten: Nur drei von zehn Merger & Acquisition-Transaktionen (M&A) schaffen tatsächlich Mehrwert.
  • Ähnlich berichtet die Tilburg und Erasmus-Universität aus den Niederlanden: 85% der M&A liefern nicht die erwarteten Ergebnisse, rund 50% sind als kompletter Fehlschlag zu verbuchen.

Und so weiter. Es mag überraschen, dass Strategiedefizite als Hauptursache für das Scheitern aus­fallen. Allerorten wird ein Implementierungsdefizit attestiert – weil es an Strukturen und Prozessen für den Transfer mangelt. Eigene Erfahrungen und Beobachtungen aus vielen Projekten in Dienstleistungs- wie Industrieunterneh­men bestätigen die Diagnosen: Viel zu selten kommt die Veränderung im vielbeschworenen Tagesgeschäft an, sie bleibt Fiktion ohne Entsprechung im Alltag.

Wie aber kann das sein? Bewährte Vorgehensweisen, Blaupausen für den Change-Prozess, Veränderungskon- oder gar -rezepte: Die Beratungs-, Seminar-, Leitfaden- bzw. Sinnindustrie liefert üppig, wenn es um Change geht. Massenhaft finden sich Hinweise auf die entscheidende Rolle der internen Kom­muni­ka­tion. Bei allem Durcheinander der konkurrierenden und dann wieder verwirrend gleichgerichteten Veränderungsrezepte dürfte Übereinstimmung mindestens in diesen Thesen bestehen:

  • Der Erfolg des Change-Prozesses kann nur durch eine interne Kommunikation gelingen, die möglichst viele Kommunikationskanäle, -instrumente und -medien nutzt.
  • Führungskräfte müssen in ihrem (Kommunikations-) Verhalten durchgängig zeigen, dass die Veränderung kon­sequent angesteuert wird und sie hinter dem Vorhaben stehen. Nur durch aktive Wahrnehmung ihrer Vor­bildfunktion werden Führungskräfte zu Promotoren eines nachhaltigen Wandels.
  • Erst wenn die angestrebte Veränderung selbstverständlicher Teil alltäglicher Praxis geworden ist, ist das Ziel erreicht.

Wenn also durchaus klar zu sein scheint, wie Veränderungskommunikation „geht“ und wie sie dem Change-Vor­ha­ben zum Erfolg verhelfen kann – weshalb geht trotzdem so viel schief?

Die Lücke …

Wer eine gründliche (und ehrliche) Ursachenanalyse von den Praxiswirkungen der Change-Projekte ausgehen lässt, stößt bald auf eine fundamentale Konzeptionslücke. Wie soeben aufgezeigt, ist gerade der Praxis vor Ort all­zu häufig eine mangelnde Implementierung und Transformation des Veränderungsvorhabens zu attestieren. Genau hierin zeigt sich ein prinzipiell reduktionistisches Vorgehen. Denn „Veränderungskommunikation“ wird in aller Regel auf sol­che Kom­munikationsmaßnahmen beschränkt, die von zentralen Stellen initiiert, getragen, gestaltet und verantwor­tet werden.

Dieses Aufgabenfeld der Veränderungskommunikation, das ich der „Zentralkommunikation“ zurechne, ist zweifel­los notwendig und wird hier keineswegs in Frage gestellt. Beispiele für Instrumente dieser Kommunikations­arbeit sind Mitarbeiterzeitung, Aushänge/ Schwarzes Brett, Intranet, Newsletter oder auch Corporate Events wie die beliebt ge­wordenen Town Hall Meetings. In jüngster Zeit kommen zunehmend Formate wie Blogs, Unterneh­mens-Wikis, Corporate TV, Corporate Broadcasting/ Podcasts und weitere Medien aus dem boomenden Segment der Social Media hinzu. Sie alle werden in der Veränderungskommunikation genutzt – was richtig und begrüßens­wert ist. Und doch zei­tigen in jeder Orga­nisation andere Kommunikationsarenen eine Hebelwirkung, die maßgeb­lich über Er­folg oder Nichterfolg der Veränderungskommunikation und damit über das Change-Projekt entscheiden.

Gemeint ist solche unternehmensinterne Kommunikation, die eben nicht von Kommunikationsbereichen initiiert, son­­dern durch Führungskräfte und Mitarbeiter in allen Bereichen permanent und “on the job” ausgeführt wird. Diese „Prozesskommunikation“, wie ich sie nenne, ist notwendige Basis zur Bewältigung der gestellten Aufgaben sowie zur Um­set­zung der Prozesse und Abläufe. Sie manifestiert sich in Form von Besprechungen, Führungsrunden, Telefonaten, Mails, Briefen, Absprachen, Unterweisungen und vielen weiteren Kommunikationen. Damit bestimmt die Pro­zesskom­munikation den kommunikativen Alltag eines jeden Mitarbeiters in einem Ausmaß, das die Zentralkom­munikation nie­mals erreichen kann.

… und eine erstaunliche Reaktion

Könnte es aber sein, dass auch das keine ganz neue Erkenntnis ist? Immerhin werden die Stimmen, die nach einer neu­en Rollendefinition für die Kommunikationsbereiche verlangen, dringlicher und lauter. Fachverbände wie auch Praktiker weisen auf den notwendigen Umbruch in der Disziplin der internen Kommunikation hin, die sich aus der bis­herigen Funktion der Vorstandssprecher in Richtung interner Berater, Moderatoren und Coaches zu entwickeln habe.

Blicke in die Praxis sorgen jedoch für Ernüchterung. Nach wie vor entwickeln die Kommunikationsprofis wenig Am­bitio­nen, das Kommunikationsgeschehen vor Ort zu unterstützen – etwa, indem Hilfestellung zur Planung, Realisierung oder Bewertung der Prozesskommunikation angeboten würde. Seien wir ehrlich: Überwiegend wird die Prozess­­­kom­mu­nikation nicht einmal zur Kenntnis genommen, „die Anderen“ werden als bestenfalls Empfänger, jedoch nicht als Ak­­teure begriffen. Wer „interne Kommunikation“ sagt, meint in der Regel lediglich die offizielle, von zentralen Stellen ini­tiierte Kom­munikation des Unternehmens in Richtung eigener Belegschaft.

Vor gar nicht langer Zeit be­schied ein hoch­rangiger Kommunikationsverantwortlicher eines global bedeutenden Dienstleisters der Finanzindu­strie meine dies­bezüglichen Hinweise kurz und bündig mit dem Satz: „Darum kann ich mich nicht auch noch kümmern.“ Nicht nur dieser Fall belegt, dass die Prozesskommunikation noch ihrer Entdeckung durch die Kommunikations­­bereiche harrt. Damit aber bleibt die für den Change-Erfolg entscheidende Kommunikationsarena sich selbst überlassen.

“off the job” plus “on the job”

 Abermals sei betont: Keineswegs geht es um ein entweder-oder, wenn Zentralkommunikation und Prozesskommu­ni­­kation gegenüber gestellt werden. Veränderungsprojekte brauchen zentrale Kommunikationsmaßnahmen. Diese entfalten übrigens immer dann besondere Wirkung, wenn sie partizipative Elemente aufweisen, also nicht nur kon­su­miert werden, sondern die Adressaten aktivieren und einbinden und damit zu Subjekten des Wandels machen.

Doch wir müssen hinnehmen, dass Zentralkommunikation grundsätzlich „off the job“ stattfindet. Wer den Newsletter oder die Intranetrubrik zum Veränderungsprojekt liest, wer an einem Town Hall Meeting, einer Veranstaltung der Road Show oder an einem Promotorentraining teilnimmt, geht in diesem Moment nicht seiner ursprünglichen Arbeit nach. Deshalb wird Zentralkommunikation von den Führungskräften und Mitarbeitern immer auch als Unterbrechung er­lebt.

Dagegen vollzieht sich die Prozesskommunikation „on the job“ – permanent, in mannigfaltiger Weise und in viel größerem Umfang: Hier liegt die (Kommunikations-) Praxis vor uns, in der die Veränderungsprojekte allzu oft nicht ankommen. Wer diese Prozesskommunikation in seinem Veränderungsprojekt vernachlässigt, beraubt nicht nur sein Kommunikationsorchester um ein wesentliches Instrumentarium: Er riskiert, dass es in Opposition tritt zu den noch so gut ge­meinten (und gut gemachten) Kommunikationsmaßnahmen von zentraler Seite.

Es spricht alles dafür, die Arenen und Milieus alltäglicher Kommunikation aufzusuchen und als Keimzelle tiefgreifen­der Veränderungen zu nutzen. Prozesskommunikation vor Ort, wie sie insbesondere durch die Führungskräfte geprägt wird, entscheidet letztlich über den Erfolg des Change-Prozesses. Hier vollzieht sich die Transformation des Veränderungsvorhabens, erst hier wird praktische Realität, was ansonsten Konzeptidylle bleibt – und sei sie noch so elegant kommuniziert.

 

*Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Fassung meines Forum-Beitrags in der Xing-Gruppe „IK im Fokus: Interne Kommunikation, Veränderungs- und Führungskommunikation“ aus Januar 2011

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Dr. Guido Wolf,
Kommunikationsforscher

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