Ein Kaffee for free: Erst der Hörer macht die Kommunikation_#49

von | 15/08/2016 | 2 Kommentare

Manchmal fühle ich mich an Unkraut erinnert: Um die Funktionsweise zwischenmenschlicher Kommunikation zu beschreiben, wird allerorten und nach wie vor auf das Sender-Empfänger-Modell zurückgegriffen. Wie Unkraut scheint es unausrottbar zu sein. Aus den zahlreichen Argumenten, die gegen dieses für die nachrichtentechnische Signalübermittlung entwickelte Modell (Urheber ist Claude Shannon; seine Publikation stammt aus dem Jahr 1949) sprechen, sei die unzutreffende Sicht auf die Rolle des „Empfängers“, der gemeinhin mit dem „Hörer“ gleich gesetzt wird, herausgegriffen.

Mitteilung vs. miteinander geteilt: auf ein Tässchen Kaffee

„Das müssen wir kommunizieren“, heißt es oft. Gemeint ist: „Das müssen wir mitteilen“ – so, als seien Mitteilen und Kommunizieren dasselbe; als sei durch den Akt des Mitteilens die Kommunikation bereits vollzogen. Genau das trifft nicht zu, denn erst mit dem zuhörenden Partner wird Kommunikation überhaupt möglich. Gehen wir davon aus, dass Menschen durch ihre Kommunikation Verständigung über was auch immer erreichen wollen. Um kommunizierend diese Verständigung zu erzielen, muss der Hörer aktiv mitarbeiten – also „Hörerarbeit“ verrichten. Bloße Anwesenheit reicht nicht, um eine Mitteilung zu einem miteinander Geteilten zu machen. Denn das Ziel des Sprechers liegt im Hörer: Ihn will er veranlassen, etwas zu tun, zu denken, sein zu lassen, eine Meinung zu übernehmen und so fort.

Damit aus einer Mitteilung ein miteinander Geteiltes wird, reicht auch ein rhetorisch noch so großartig operierender Sprecher nicht aus. Denn unabwendbar bleiben unsere Äußerungen als Sprecher stets unvollständig. Erst durch kognitive Akte des Hörers erhalten die Aussagen des Sprechers vollständigen Sinn. Das sei anhand eines praktischen Beispiels erläutert.

  • Anberaumt ist ein Gespräch zwischen einem Projektleiter und der Geschäftsführerin in deren Büro. Auslöser ist die Erkenntnis, dass das Projekt möglicherweise seine Ziele verfehlen wird.
  • Auf dem recht großen Schreibtisch befinden sich eine Kaffeekanne und 2 Tassen. Die Geschäftsführerin begrüßt den Projektleiter und beginnt das Gespräch mit der Frage nach dem Projektstand, da unterbricht sie sich. Denn sie sieht den Blick des Projektleiters auf die Kaffeekanne, folgt kurz diesem Blick und fragt: „Möchten Sie?“ Sie kann sicher sein, dass der Hörer, in diesem Fall der Projektleiter, weiß, was gemeint ist: nämlich ein Kaffee.
  • Als fragende Sprecherin muss die Geschäftsführerin nicht erst erklären, was „Kaffee“ ist. Sie muss nicht darauf hinweisen, dass eine Zustimmung ein Handeln auslöst (nach der Kanne greifen, Kaffee einschenken, Milch und Zucker anbieten etc.).
  • Dem Projektleiter wiederum ist klar, dass diese Handlung nicht zum eigentlichen Gespräch über das Projekt gehört, er weiß, dass er den Kaffee nicht bezahlen muss, dass er eine eigene Tasse (oder einen Becher) bekommt und so fort. All dies fügt er der knappen Frage „Möchten Sie?“ hinzu.
  • Und siehe da: Er bekommt seinen Kaffee und das eigentliche Gespräch geht weiter.

In Alltagssituationen kennen wir uns gegenseitig und setzen gemeinsame Alltagskenntnisse voraus (Kaffee; Flüssigkeit; das eigentlich verabredete Tun für einen Moment unterbrechen). Käme der Hörer (hier: der Projektleiter) jedoch aus einem gänzlich anderen Kulturkreis, dann wären viele Voraussetzungen nicht ohne Weiteres anzusetzen. Die Geschäftsführerin müsste weiter ausholen, Dinge erklären und Absichten deutlich machen. Der Hörer müsste vermutlich Rückfragen stellen, seine Interpretation überprüfen etc. Doch in aller Regel ist dieser zusätzliche Aufwand nicht notwendig.

Durch seine „inneren Handlungen“ fügt der Hörer der Äußerung des Sprechers („Möchten Sie?“) sein (Alltags-) Wissen hinzu, sodass sich erst durch sein Tun der Sinn und Zweck der Äußerung ergeben. Man stelle sich eine ausführliche Version des Kaffeeangebots vor: Die Geschäftsführerin würde zunächst erläutern, dass Kaffee eine Flüssigkeit ist, die man trinken kann, wobei “Kaffee trinken” nicht der eigentliche Zweck des Treffens ist; sie würde erklären, wer was zu tun hat, damit die Handlung gelingt (Projektleiter muss zustimmen; Geschäftsführerin schenkt ein bzw. Projektleiter tut das selbst nach Aufforderung) und dass diese Handlung keine finanziellen oder anderen Konsequenzen hat. Usw.

Um uns schnell und ausreichend zu verständigen, können wir als Sprecher ziemlich viel weglassen. Der Kommunikationswissenschaftler Gerold Ungeheuer bezeichnet diese Eigenschaft des Sprechens als „elliptisch“, vergleichbar mit „fragmentarisch“ oder „unvollständig“. Keine sprachliche Formulierung, so Ungeheuer, könne einen vollständigen Plan für den Hörer liefern, nach dem dieser seine Vorstellungen exakt nach des Sprechers Anweisung bildete.

Aber als Sprecher müssen wir das auch gar nicht. Wir wissen (wenn auch in der Regel unbewusst), dass das, was wir äußern, der Ergänzung bedarf. Und gehen wie selbstverständlich davon aus, dass der Hörer exakt diese Ergänzungen vorzunehmen weiß. Die alltäglichen Missverständnisse lassen sich übrigens nicht selten darauf zurückführen, dass wir uns darin täuschen. Wir sagen dann: „Aber das habe ich doch gesagt!“ und werden belehrt, dass wir das vielleicht gemeint, jedoch keineswegs gesagt haben. Ebenso geht es andersherum: Der Hörer wirft uns vor, dieses oder jenes gesagt zu haben. Stimmt aber nicht: Das hat er selbst (und diesmal unzutreffend für unsere Sprecherabsicht) hinzugefügt.

Den passiven Hörer im Sinne des Sender-Empfänger-Modells gibt es nicht

Das Sender-Empfänger-Modell basiert also auf einer stark verkürzten Sicht der zwischenmenschlichen Kommunikation. Die Annahme, dass der Sprecher (= Sender) seine Botschaft in die Worte hineinlegt (die manchmal auch als „Code“ für das Gemeinte angesehen werden) und der Hörer anschließend diese Botschaft einfach den Worten entnimmt (sie decodiert), trifft wie gezeigt nicht zu.

Ein zweites Argumenten gegen das Sender-Empfänger-Modell sei in aller Kürze ausgeführt: die Annahme der linearen Aufeinanderfolge von Senden und Empfangen. In zwischenmenschlicher Kommunikation finden Sprechen und Zuhören keineswegs nur nacheinander, sondern immer auch gleichzeitig statt. Das Sender-Empfänger-Modell zerlegt die Gleichzeitigkeit von Sprechen und Hören in eine Abfolge und reduziert den Hörer auch in dieser Hinsicht auf eine passive Rolle. Beides trifft nicht zu:

  • In zwischenmenschlicher Kommunikation agiert stets ein „hörender“ Sprecher, also ein Sprecher, der die Aktionen und Reaktionen seines Hörers beobachtet und noch während seines Sprechens berücksichtigt (siehe das Beispiel oben: die Geschäftsführerin sieht den Blick des Projektleiters auf die Kaffeekanne).
  • Gleichzeitig ist immer ein „sprechender“ Hörer aktiv, also ein Hörer, der noch während des Sprechens des Anderen lautliche oder nonverbale Aktionen ausführt und so sein Interesse, seine Zustimmung oder Ablehnung oder seine Absichten und Gefühle anzeigt (der Projektleiter und sein sehnsüchtiger Blick auf den Kaffee).
  • Die Aktionen und Reaktionen des Hörers, der noch gar nicht das Wort ergriffen hat, beeinflussen bereits den Sprecher. Das kann so weit gehen, dass der Sprecher seine ursprüngliche Mitteilung unterbricht oder sogar aufgibt, um sofort auf den Hörer zu reagieren.

Das Ziel des Sprechers liegt also im Hörer: Dieser soll etwas verstehen, etwas glauben, eine Meinung übernehmen, etwas tun oder unterlassen. Erst wenn der Hörer gehandelt hat, kann von Kommunikation gesprochen werden.

Kommunikation ist eine Gemeinschaftshandlung, die nur durch aktives Handeln beider Seiten gelingen kann (sonst wird das nämlich nichts mit dem Kaffee). Nochmals zugespitzt lässt sich diese Gemeinschaftshandlung auch als „kooperative Verständigungsarbeit“ auffassen. In ihrer Kooperation tragen Sprecher wie Zuhörer zur Verständigung bei, leisten also gemeinsam jene Verständigungsarbeit. Hörer müssen mitarbeiten – was nicht immer gelingt. Das belegt eine Studie, von der mir vor einigen Jahren berichtet wurde. Nach dieser schätzen sich rund 85%  der Befragten als gerade mal durchschnittliche oder schlechte Zuhörer ein. Der Wert mag sehr hoch erscheinen, doch deuten vermutlich nicht nur meine täglichen Kommunikationserfahrungen an, dass es um das kompetente Zuhören nicht zum Besten steht. Wollen wir unsere Kommunikation verbessern, dann müssen wir unser Zuhören professionalisieren – das Sender-Empfänger-Modell hilft dabei in keiner Weise.

2 Kommentare

  1. Jens Kapitzky

    Lieber Herr Wolf,
    ich kann Ihren Ausführungen nur beipflichten – auch und gerade der “Unkraut”-Assoziation. Wenn Sie heute eines der modernen Schulbücher aufschlagen, so findet man auch dort noch immer das Sender-Empfänger-Modell – bei den “Informierteren” vielleicht in der seltsamen Form des Nachrichtenquadrats von Schulz von Thun, das ja letztlich auch ein “Sprecher”-Modell ist und bleibt.

    Das Einzige was ich schade finde an Ihrem Text ist dies: Das von Ihnen gewählte Beispiel leistet einem Aspekt Vorschub, den man immer wieder antrifft, wenn man in Diskussionen über eine adäquate Beschreibung kommunikativer Prozesse eintritt: dann wird für Alltägliches die Bedeutung des Hörers und seiner Aktivitäten eingeräumt – um diese Einsichten dann, wenn es ans inhaltlich Eingemachte geht, gleich wieder zu vergessen. Will sagen: Das Spannende ist ja gerade, dass man als Hörer Steuerungsimpulse setzen kann, die eben nicht nur dazu führen, dass einem Kaffee angeboten wird (womit ich nichts gegen diese gute Sitte gesagt haben will), sondern beispielsweise über eine entsprechende Mimik dafür sorgen kann, dass eine Geschäftsführerin, die eigentlich nur ihren Unmut über das anstehende Scheitern eines Projektes ausdrücken wollte, beginnt, entsprechende Fragen nach den Gründen für dieses Scheitern zu stellen – wodurch eine weit kooperativere Situation entstünde als eine, in der sich zunächst der eine gegenüber der anderen rechtfertigen muss.
    Was Sie über die zentrale Rolle des Hörers sagen – es trifft eben in allen Situationen zu, beim Kaffee wie beim Projekterfolg!

  2. Dr. Guido Wolf

    Lieber Herr Kapitzky, vielen Dank für Ihre ergänzenden und zutreffenden Hinweise, die darauf abzielen, die Hörerfunktion in einem verständnisfördernden Sinn wahrzunehmen. Bedauerlich wäre es in der Tat, wenn meine Darlegungen so verstanden würden, als seien sie lediglich auf die kooperative Ausübung von Alltagshandlungen zu beziehen. Insofern nochmals Dank für die Bekräftigung!

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Dr. Guido Wolf,
Kommunikationsforscher

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