Inkompetenzkompensationskompetenz /#25

von | 16/08/2014 | 0 Kommentare

Teil 1: Mit Blendern umgehen

Auch schon erlebt? Sie wissen ganz genau, dass dieser Typ überhaupt keine Ahnung hat. Und dennoch kriegt er es hin, im Laufe der Diskussion als Fachexperte anerkannt zu werden. Ich bezeichne solche Personen als „Blender“. Festzustellen ist jedoch, dass sie eine hohe Inkompetenzkompensationskompetenz entwickelt haben – denn sie kommen durch. Wie schaffen die das?

Grundsätzlich ist es heutzutage kein Sonderfall, inkompetent zu sein. Gerade vor dem Hintergrund der sich rasend weiterentwickelnden Kommunikationstechnologien und einer stark verringerten Halbwertzeit gesicherten Wissens geraten wir ständig in Situationen, in denen wir nicht ohne weiteres fachlich mithalten können. Was ist dann zu tun? Das (geschickte) Vorspielen falscher Tatsachen – und genau das tun Blender – ist nur eine von mehreren Möglichkeiten, Inkompetenz kompetent zu kompensieren. Es ist jedoch keine gute Möglichkeit.

Den Hinweis auf das großartige Wortungetüm „Inkompetenzkompensationskompetenz“ verdanke ich dem lesenswerten Beitrag von Marcus Schorn (Schorn 2014). Er erwähnt den Terminus und seinen Urheber Odo Marquart, einen wichtigen Philosophen der deutschen Nachkriegszeit. Im Jahr 1973 gab Marquart einem Vortrag über das Ende der Philosophie diese Überschrift (vgl. den einschlägigen Eintrag in Wikipedia; dort weiterführende Literatur). Philosophie habe, so Marquart, im Lauf der Zeit ihre Kompetenzen an andere wissenschaftliche Disziplinen abgetreten, sodass ihr nur noch die Kompetenz bleibe, die eigene Inkompetenz zu kompensieren. In diesem Blogpost löse ich den Ausdruck aus seinem ursprünglichen Zusammenhang und übertrage ihn auf das alltäglich anzutreffende Problem, mit eigener oder fremder Inkompetenz umgehen zu müssen.

In diesem Blogbeitrag diskutiere ich Strategien der Blender und zeige Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren. Im nächsten Blogpost werde ich mich mit konstruktiven Alternativen im Umgang mit der eigenen Inkompetenz auseinandersetzen.

Blender nerven und kosten Geld

Es gibt sie, es sind viele und man trifft sie immer wieder: Blender, die bestens in der Lage sind, ihre eigene Inkompetenz auf geschickte Art zu verbergen. Blender gehen beispielsweise so vor:

  • sie platzieren wie nebenbei einen imponierend klingenden Fachbegriff – der soeben erst von einem anderen Gesprächsteilnehmer eingebracht wurde;
  • sie stellen kritische Fragen – und arbeiten mit den Antwortinhalten weiter;
  • sie werfen hier und da einen anspielungsreichen Kommentar ein – und besetzen durch den Einsatz von Ironie eine überlegene Position.

Das sind nur einige Manöver, mit denen inkompetente Personen ihr Nichtwissen kompensieren. Und das kann sehr ärgerlich werden, etwa dann, wenn im Verlauf einer zunehmend durch den Blender geprägten Diskussion eine wichtige Entscheidung nicht oder nicht wie geboten getroffen wird. Wir haben vermutlich nicht die geringste Vorstellung über Kosten und entgangene Gewinne, die von Blendern verursacht wurden.

Sich dagegen zu wehren, ist nicht immer leicht. Oftmals merken wir viel zu spät, dass wir an einen Vertreter dieser Spezies geraten sind. Oder wir bemerken es, können aber (vermeintlich) nichts tun, weil hierarchische Hürden bestehen (gelegentlich lassen sich kompetente Inkompetenzkompensierer in den Reihen der eigenen Vorgesetzten antreffen). Und manchmal fehlt es uns auch an Ideen und Werkzeugen,.

Blenderstrategien und wie sich damit umgehen lässt

Gehören Sie zu denen, die stets den mühsamen Weg gehen? Studieren sorgfältig die Kennzahlen und werten sie aus, lesen die Berichte gründlich, machen sich Gedanken, sammeln Argumente und entwickeln eine durchdachte Entscheidungsvorlage? Nur, um im entscheidenden Meeting diese Entscheidungsvorlage gar nicht richtig erläutern können, weil sich die Diskussion aufgrund merkwürdiger Äußerungen eines Teilnehmers in eine unerwartete Richtung bewegt? Hier 3 häufig anzutreffende Blenderstrategien und einige Möglichkeiten, um damit umzugehen:

  • Der Blender ergreift das Wort, deutet an, einen wesentlichen und neuen Aspekt beitragen zu wollen und fasst doch nur zusammen, was längst von anderen geäußert wurde.

    • Die Folge: Zeitverlust und unnötige Gesprächsschleifen.

    • Was Sie tun können: Fragen Sie und fragen Sie im Zweifelsfall hartnäckig nach, was gemeint sei. Um Konkretisierung bitten, Verbindungen zu anderen Sachverhalten herstellen lassen oder nach praktischen Auswirkungen zu fragen sind einige Beispiele.

    • So könnten Sie eine einzelne Äußerung aufgreifen und nachhaken: „Sie wiesen soeben auf x hin. Welche konkreten Auswirkungen auf die y-Praxis/ den z-Sachverhalt sehen Sie?“

  • Der Blender stellt kritische Fragen, um aus den Antwortinhalten seine Wissensdefizite kompensieren zu können.

    • Die Folge: Das Gespräch dreht sich um längst geklärte Aspekte, Zeitverlust, kein sinnvolles Gesprächsergebnis.

    • Was Sie tun können: Beantworten Sie die Frage so kurz wie möglich, ohne allzu sehr inhaltlich zu werden. Dann stellen Sie eine Gegenfrage, die den Blender zur Argumentation zwingt.

    • Beispiel: „Mir ist nicht klar, worauf Sie hinauswollen. Würden Sie bitte Ihre Sichtweise konkretisieren?“

  • Der Blender attackiert Sie persönlich.

    • Die Folge: Sie geraten in die Defensive, beginnen sich zu rechtfertigen und liefern mit Ihrer Argumentation zusätzliche Stichworte, die gegen Sie verwendet werden.

    • Was Sie tun können: Bleiben Sie ruhig und weisen Sie darauf hin, dass es Ihnen um die Sache geht. Adressieren Sie dann die Konfrontation und bitten um konkrete Belege. Deuten Sie positiv um, indem Sie eine Beleidigung (falls nicht allzu stark ausgeprägt) als „Hinweis“ bezeichnen.

    • Beispiel: „Entschuldigen Sie, aber es sollte uns um die Sache und nicht um die Person gehen. Aus Ihrer Bemerkung höre ich eine Gegenposition heraus, die mir noch nicht klar ist. Bitte konkretisieren Sie, worauf Ihr Hinweis zielt.“

Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass diese Strategien nicht für jeden passen und nicht in jeder Situation funktionieren. Sie zeigen jedoch die prinzipielle Richtung an: den Blender in die Verlegenheit bringen, konkret zu werden – oder sich zu seinem Nichtwissen zu bekennen.

Dazu braucht es Mut. Aber gerade in Situationen, an denen mehrere (oder sehr viele) Menschen beteiligt sind, ist Ihnen der Dank der meisten anderen sicher: „Endlich wehrt sich mal einer.“ Dieser Dank wird schnell zu Solidarität, wenn Sie Ziel einer Gegenattacke werden. Deshalb ergeht hiermit die Aufforderung zu couragiertem Umgang mit der Inkompetenzkompensationskompetenz.

Von Blendern lässt sich lernen

Abschließend möchte ich die Aufmerksamkeit auf die Kompetenz lenken, die dafür sorgt, dass Blender erfolgreich agieren können. Was sich feststellen lässt:

  • Blender erfassen sehr schnell Situationen.
    Sie erkennen unmittelbar, wenn sie von einem Thema wenig oder nichts verstehen, und wechseln sofort in den Modus der Kompensationsstrategien.

  • Blender sind äußerst sensibel für Atmosphären und Stimmungen.
    Deshalb gelingt es ihnen, ihre Einwürfe gut zu platzieren.

  • Blender haben eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe und können gut zuhören.
    Sie destillieren aus dem Gesagten die notwendigen Informationen, die sie im weiteren Gesprächsverlauf einsetzen, um nicht mit ihrer Inkompetenz aufzufallen.

Diese Fähigkeiten und manch weitere Kompetenz sind nicht zu leugnen. Gut zuhören zu können, sensibel zu sein und Situationen rasch zu erfassen sind Fähigkeiten, die wir alle gut gebrauchen können. Insofern sind Blender immer auch ein Lernmodell.

Ausblick: Im nächsten Teil werde ich mich mit Möglichkeiten auseinandersetzen, wie wir mit der eigenen Inkompetenz kompetent umgehen können.

 

Literatur

  • Schorn, Marcus (2014): Konstruktivismus und Qualitätsmanagement. Was ist Wahrheit?; in: Qualität und Zuverlässigkeit 8/ 2014, S. 14-15

  • Wikipedia-Eintrag zu „Inkompetenzkompensationskompetenz“, aufgerufen am 14.08.2014; dort Verweis auf Odo Marquart, den Urheber des Begriffs, sowie auf den Hintergrund seiner Aussageabsicht, und weiterführende Literatur.

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  1. axon – Der Blog von Guido Wolf » Inkompetenzkompensationskompetenz /#26 - [...] mit üblichen Kompensationsmustern habe ich mich mit den Blendern befasst (Link > https://axon-blog.de/inkompetenzkompensationskompetenz-25/). Diese leider nicht selten auftretende Form…

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Dr. Guido Wolf,
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