Alles auf einmal so VUCA hier_#63

von | 13/10/2017 | 0 Kommentare

Neue Lage oder neues Label?

„VUCA“: Dieses Akronym begegnet vermutlich nicht nur mir andauernd. Es klingt fast ein bisschen wie Voodoo und zuweilen scheint es, als sei diese schwarzmagische Note absichtsvoll angespielt. Denn in der Regel wird mit dem Akronym, das für „volatility“, „uncertainty“, „complexity“ und „ambiguity“ (bzw. als „VUKA“ für die entsprechenden deutschsprachigen Ausdrücke) steht, eine genuin neue, unheimliche Bedrohung adressiert. Etwas ist im Anmarsch, auf das aufmerksam zu machen ist, weil es anderenfalls unbeachtet bliebe und Schaden anrichtete. Handeln ist geboten und jene, die das Wort haben (und sich mit dem Label „VUCA“ schmücken), wissen, was zu tun ist. Bedeutungsschwer zustimmendes Nicken erfährt, wer die VUCA-Diagnose als erster ins Spiel bringt.

Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Ich bestreite nicht, dass wir es in vielen Bereichen des Lebens und eben auch in der Welt der Wirtschaft mit Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität zu tun haben. Was ich bestreite ist die Diagnose, dass das etwas grundsätzlich Neues ist. Aber der Reihe nach.

VUCA in a Nutshell: Kurze Begriffshistorie

Es ist gar nicht so einfach, die Urheberschaft für das Label namens VUCA zu ermitteln. Nach Mack/ Khare (2016) geht das Konzept auf Diskussionen in US-amerikanischen Militärhochschulen zurück, die dort in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts geführt wurden. Mit Überwindung des kalten Krieges zerfiel die Welt in mehr als die bislang identifizierten 2 Blöcke. Die als neu empfundene Unübersichtlichkeit galt es sprachlich zu fassen. Dass es gleich 4 Attribute brauchte, um die Lage zu beschreiben, verweist unmittelbar auf diese Unübersichtlichkeit. Erst durch die trickreiche Bündelung der 4 Ausdrücke in einem Akronym wurde die Sache griffig. Zwar verging noch einige Zeit und bedurfte der alles überstrahlenden Entdeckung der digitalen Transformation, bis das Label Verbreitung fand. Doch mittlerweile ist „VUCA“ insbesondere im Management-Sprech angekommen.

Wer sich näher für die Entwicklung des Konzepts und die Ableitungen für das Management von Organisationen interessiert, dem sei empfohlen: Mack, Oliver/ Khare, Anshuman (2016): Perspectives on a VUCA World; in: Mack, Oliver/ Khare, Anshuman/ Krämer, Andreas/ Burgatz, Thomas (eds.) (2016): Managing in a VUCA World, Heidelberg, New York usw.: Springer, S. 3-19, hier S. 5.

Die 4 Attribute des VUCA-Konzepts und warum das nichts Neues ist

Nicht zu bestreiten ist, dass die 4 Attribute des VUCA-Konzepts die aktuelle Situation plausibel beschreiben. Auch Ihnen dürften Stoßseufzer und gequälte Ausrufe wie diese bekannt sein:

  • „Unsere Märkte ändern sich andauernd, berechenbare Abnehmerstrukturen existieren nicht mehr.“ (Vertriebsleiter in Konsumgüterbereich)
  • „Nichts ist mehr sicher!“ (der kaufmännische Geschäftsführer eines Industrieunternehmens im Rahmen einer Betriebsversammlung)
  • „Wir müssen unsere Produkte in erheblichem Umfang mit neuen Eigenschaften ausstatten, damit wir mit der digitalen Transformation Schritt halten. Das erhöht die Komplexität unserer Produkte wie auch unserer Produktionsprozesse“ (Herstellleiter eines Werkzeugbaubetriebs)
  • „Dieser Trend könnte unsere Marktposition deutlich stärken – oder erheblich schwächen.“ (Marketingchef eines Personaldienstleisters).

Doch sinngemäß waren solche Zustandsbeschreibungen schon immer zutreffend. Nicht ganz wahllos herausgegriffene Beispiele aus ganz unterschiedlichen Bereichen und Zeiten mögen dies belegen:

  • Volatil: Jeder Landwirt weiß ein Lied davon zu singen, dass eine ausgezeichnete Jahresernte keineswegs bedeutet, dass auch im Folgejahr die Natur mitspielt. Die ist nämlich ausgesprochen volatil, also veränderlich und kaum vorhersagbar. Seit Jahrtausenden, nebenbei bemerkt.
  • Unsicher: Was mag der Eigentümer eines Handelskontors im 17. Jahrhundert empfunden haben, wenn sein Schiff, beladen mit kostbaren Gewürzen, nicht eintraf, bevor die Herbststürme einsetzten?
  • Komplex: Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, in der die Computer in jeden Bereich des Lebens Einzug hielten. Als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Kommunikationsforschung zu Bonn habe ich in den späten 80er Jahren manch unschöne Stunde damit verbracht, einen in WordPerfect unter DOS erstellten Text neu formatieren zu müssen, weil der Drucker keineswegs ausgab, was er sollte. Die gute, alte, vor allem aber wenig komplexe Schreibmaschine erschien in ganz neuem Licht.
  • Ambig: In praktisch jedem Markt hat es zu allen Zeiten überraschende Entwicklungen gegeben, deren Konsequenzen nicht eindeutig auf der Hand lagen. Bemüht sei ein jüngeres, gleichwohl populäres Beispiel: Kodak. Ich war persönlich nicht anwesend, als man bei einem der wichtigsten Hersteller von Filmen für Kameras das Aufkommen der Digitalfotografie zur Kenntnis nahm, habe aber Grund zu der Annahme, dass man die Markt- wie auch technologische Entwicklung in wenig geeigneter Weise gedeutet hat.

Wir sehen: Veränderliche, unsichere, komplexe und nicht eindeutige Rahmenbedingungen gibt es nicht erst, seit es die Abkürzung VUCA gibt. Vollends absurd wird die Annahme, so etwas wie eine „VUCA-World“ sei neu, spätestens dann, wenn wir in unsichere Regionen der Welt wie beispielsweise in Afrika schauen. Nicht nur das Wirtschaftsleben ist dort permanent volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig – und zwar seit sehr vielen Jahren. Es entbehrt nicht besonderer Ironie, dass es gerade jene westlichen Wirtschaftsmächte waren (und sind), welche die katastrophale Situation maßgeblich zu verantworten haben und nun erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass die Zeiten schwierig sind. Fazit: VUCA war die Welt schon immer und jenseits der westlichen Industriestaaten trifft man dies in einer nochmals ganz anderen, ausgesprochen existenziellen Ausprägung an.

Nicht neu, aber nützlich: Realitätsgewinn durch VUCA

Was wirklich neu ist, das sind die Zeiträume, in denen (technologische) Veränderungen stattfinden: Die sind dramatisch kürzer. Ich sehe darin die wesentliche Ursache für das Aufkommen des VUCA-Deskriptivs, auch wenn keines der 4 Attribute explizit auf die digitale Transformation verweist (um das gängigste Thema zu bemühen, in dessen Kontext VUCA zur Rede kommt). So gesehen ist VUCA vor allem eine Selbstaussage: Seht her, nun habe auch ich bemerkt, dass die Lage schwer einzuschätzen ist.

Insofern begrüße ich trotz der üblichen, eher anstrengenden Begleiterscheinungen des Hypes die Diskussion um VUCA! Denn ganz eindeutig ist ein Gewinn zu verbuchen: ein Realitätsgewinn. Ob die Protagonisten bisher in einer abgeschirmten Modellwelt gelebt haben oder ob sie endlich eine Bezeichnung für ihr bislang diffuses Empfinden fanden, niemand kann mehr behaupten, dass „alles ganz einfach“ sei. Das Denken in Zusammenhängen, die Überwindung allzu einfacher Beschreibungs- und Begründungsmuster sind unabwendbar geworden. Ich setze erhebliche Hoffnungen in diese Entwicklung, um die bislang eingesetzten Engführungen deutlich zu erweitern.

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Dr. Guido Wolf,
Kommunikationsforscher

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