„Befolgen Sie niemals die Ratschläge anderer Leute!“ /#28

von | 16/11/2014 | 0 Kommentare

Mit Paradoxien umgehen

Manchmal versteht man die Welt nicht mehr. Da spielt eine Fußballmannschaft, die aus international erfolgreichen, exzellenten Spielern besteht, im Pokal gegen eine Drittligamannschaft – und verliert. Nicht nur die Fans der Spitzenmannschaft finden es „paradox“, wenn ihre Lieblinge von der Mannschaft mit den eindeutig schlechteren Einzelspielern geschlagen werden. Aber Paradoxien gibt es nicht nur im Fußball – und sie begegnen uns meistens in Kommunikation.

Ein Berater sagt: „Alle Berater lügen.“

Diese Abwandlung des berühmten Paradoxons des Epimenides („Epimenides der Kreter sagte: Alle Kreter sind Lügner“) verweist auf den Kern kommunikativer Paradoxien: den unauflösbaren Widerspruch. Ein typisches Beispiel für ein Manager-Paradoxon: Die Geschäftsführung erhält klare Ansagen von den Gesellschaftern. Oberste Priorität sei es, weiter Kosten einzusparen. Das verlange schon der Business Plan. Keine 5 Minuten später die nächste Vorgabe: Gerade jetzt müsse investiert werden, denn die Chancen für neue Produkte seien so gut wie nie. Eine paradoxe Situation für die Geschäftsführung, denn konsequentes Sparen vernichtet Chancen. Mutiges Investieren allerdings widerspricht dem Spardiktat: Was immer man tut, es kann nicht richtig sein.

Zweites Beispiel: Ein Mitarbeiter gerät in eine paradoxe Situation, wenn seine Chefin zu ihm sagt: „Mir gefällt nicht, dass Sie meine Anweisungen einfach so befolgen. Ich erwarte sehr viel mehr Widerspruch von Ihnen.“ Was jetzt: Gegen eine Anweisung zu opponieren heißt, dieser Anweisung zu folgen. Diese Anweisung nicht zu befolgen liefe darauf hinaus, alle anderen Anweisungen zu befolgen.

Einerseits: Paradoxien können lähmen

Bleiben wir bei dem von der Chefin zum Widerspruch aufgeforderten Mitarbeiter. Was soll er tun? Über die paradoxe Lage nachzudenken erzeugt am Ende nur eines: gar nichts mehr zu tun. Denn während der Mitarbeiter vor sich hinbrütet und überlegt, was er tun soll, macht er rein gar nichts: Weder befolgt er eine der (einander widersprechenden) Anweisungen, noch opponiert er. Lähmung und Stillstand sind die Folge. Aber die Zeit läuft…

Andererseits: Paradoxien können lösen

Ganz anders sieht es aus, wenn Menschen immer wieder dasselbe Verhalten einsetzen, obwohl es zum Scheitern verurteilt ist und sie eigentlich längst erfahren haben, dass sie damit nicht weiterkommen. Dann kann eine paradoxe Intervention sogar hilfreich sein.

Auch dazu ein Beispiel: Obwohl er unzählige Male erfahren musste, dass eine sachliche Auseinandersetzung keinerlei Auswirkungen hat, versucht der Produktionsleiter erneut, den Kollegen Vertriebsleiter davon zu überzeugen, dass ein Produkt erst verkauft werden kann, wenn die Lieferfähigkeit gesichert ist. Als er erfährt, dass einem wichtigen Kunden wieder einmal eine viel zu frühe Lieferung zugesichert wurde, wird es ihm zu bunt. „Ich komme einfach nicht weiter“, klagt er beim Geschäftsführer. Doch der hält sich raus: „Da müssen Sie sich untereinander einigen. Wir brauchen jeden Umsatz, den wir fakturieren können. Aber natürlich können wir den Kunden keinen Liefertermin versprechen, den wir nicht halten können.“

 Eine „paradoxe Intervention“ könnte neue Perspektiven öffnen. Statt sich zu fragen: „Wie kann ich den Kollegen endlich überzeugen?“ fragt man beispielsweise: „Wie könnte ich dazu beitragen, dass alles noch viel schlimmer wird?“ Mit diesem Gedankenexperiment findet man solche Antworten:

  • Ich könnte dem Vertriebsleiter anbieten, in gemeinsamen Verhandlungen beim Betriebsrat zusätzliche Überstunden durchzusetzen, damit die Produktion gesteigert werden kann.
  • Ich könnte versuchen, über meine Marktkontakte zusätzliche Aufträge zu generieren.
  • Ich schlage ihm vor, die Lieferfähigkeit überhaupt nicht mehr in Betracht zu ziehen („Lieferfähigkeit ist ab sofort irrelevant“).
  • Ich rege an, dass er die Ware beim Wettbewerb kauft.

Natürlich ist man sofort geneigt, die meisten paradoxen Impulse als abwegig anzusehen. Aber ein zweiter Blick lässt Fragen zu: Könnte man das nicht tatsächlich versuchen? Wir gewinnen eine neue Perspektive – und laden das Gegenüber ein, Teil der Lösung zu werden. Die paradoxe Intervention bewirkt eine mentale Öffnung, denn plötzlich wird ersichtlich, dass wir selbst Teil der paradoxen Situation sind – weil wir sie überhaupt erst zulassen.

Das Ziel: Souveränität (zurück) gewinnen

Wer mit einer paradoxen Situation konfrontiert ist, gerät gleich doppelt in die Defensive. Schon weil die Aktion von einer anderen Person ausgeht, ist man auf das Reagieren und damit auf eine passive Rolle festgelegt. Erschwerend kommt hinzu, dass die widersprüchliche und eigentlich unauflösbare Konstellation, die der Andere definiert hat, zum Nachdenken zwingt – und das bleibt zwangsläufig ohne Erfolg. Also kein Entkommen möglich?

Vielleicht doch. Hier 2 Möglichkeiten, um mit paradoxen Konstellationen fertig zu werden:

  1. Paradoxie nicht zur Kenntnis nehmen.
    Sie könnten die paradoxen Äußerungen einfach übergehen – so, als seien sie niemals ausgesprochen worden. Das geht leichter, als Sie denken: In vielen Fällen ist den Menschen, die paradoxe Sätze sagen, gar nicht bewusst, was sie äußern. Wählen Sie den Teil der Aussage, der ihnen besser passt, und handeln sie entsprechend. Schließlich wurden Sie dazu aufgefordert. Die widersprüchliche und deshalb zur Paradoxie führende Aufforderung übergehen Sie einfach.
  2. Paradoxie bewusst akzeptieren.
    Eine durchaus hilfreiche Idee ist es, die paradoxe Situation, in die man hineingeraten ist, mit einem Lächeln zu betrachten und den Gedanken zu genießen: „Das Leben ist oftmals paradox.“ Sodann macht man, was immer als sinnvoll erscheint. Das könnte eine der beiden Möglichkeiten sein, die aus der Paradoxie erwachsen. Ebenso könnte es etwas ganz anderes sein.

Mit beiden Möglichkeiten gewinnen wir Souveränität zurück. Einer paradoxen Konstellation liegt nämlich eine zweiwertige Logik zugrunde, die nur die Werte „wahr“ und „falsch“ kennt. Zweiwertige Logik ist jedoch nichts Ursprüngliches, Naturgegebenes oder eine unverrückbare Tatsache, zweiwertige Logik ist eine Erfindung von Menschen. Zweiwertige Logik mag häufig mit Erfolg anwendbar sein, aber es ist keineswegs ausgemacht, dass sich jegliche Lebenssituation mit diesem Modell beantworten ließe. Wie oft befinden wir uns in Situationen, die nicht schwarz oder weiß, sondern irgendetwas dazwischen sind?

Die Idee ist also nicht, einen Weg aus der Paradoxie-Falle zu suchen. Die Idee ist, gar nicht erst hinein tappen. So paradox es klingen mag: Paradox ist etwas nur so lange, wie wir ihm Wirkung zugestehen.

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Dr. Guido Wolf,
Kommunikationsforscher

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