Regeln mit Haltung_#84

von | 17/12/2021 | 0 Kommentare

Teil 1: Compliance-Management sichert Wertschöpfung

„Selbstverständlich halten wir die Gesetze ein!“ Welches Unternehmen hätte jemals etwas anderes zu Protokoll gegeben, wenn nach „Compliance“, also dem Befolgen rechtlicher Vorgaben gefragt wird? Doch die Realität weist in eine andere Richtung: Uns allen sind prominente Skandale wie die Wirecard-Betrügereien oder die Fälschung von Abgaswerten durch Automobilkonzerne und deren Zulieferer lebhaft vor Augen. Dabei stellen solche Beispiele mit ihrer ausgeprägten öffentlichen Aufmerksamkeit nur die Spitze des kriminellen Eisbergs. Das belegen die fast 50.000 Fälle von Wirtschaftskriminalität mit einer Schadenssumme von rund 3 Mrd. € allein im Jahr 2020 (Quelle: statista.com/wirtschaftskriminalitaet). Ist also das vollmundige Bekenntnis zur Compliance lediglich eine leere Floskel? Anders gefragt: Was braucht es, damit Compliance gelebte Realität wird?

Wenn die Versuchung lockt: Compliance

Ohne geregelte Prozesse, stabil eingerichtete Strukturen und sichere Kommunikationspfade geht es nicht: Diese 3 Säulen jeder stabil und resilient etablierten Organisation sind auch für rechtskonformes Verhalten unabdingbar. Exemplarisch aufgezeigt sei dies anhand von 3 konstruierten, gleichwohl aus erlebter Praxis abgeleiteten Fällen:

  • Bestechung oder nicht?
    Ein großes Produktionswerk wartet dringend auf die Anlieferung von Bauteilen, die in einem asiatischen Land hergestellt wurden. Das Frachtschiff liegt jedoch im Hafen fest, aus einem nicht nachvollziehbaren Grund lässt die Hafenmeisterei das Schiff nicht ablegen. Die Zeit wird immer knapper, der Lieferverzug ist bereits eingetreten, ambitionierte Pönalen drohen. Eine Mitarbeiterin aus der Beschaffungslogistik weist auf sichere Quellen hin, die belegten, dass es nur mit Bestechung weitergehe. Und die sei in dem fraglichen Land nicht mal strafbar.
  • Vorteilsnahme oder nicht?
    In langen Jahren vertrauensvoller Zusammenarbeit ist ein fast schon freundschaftliches Verhältnis zwischen einem Forschungsdienstleister und dem Auftraggeber, einem Unternehmen der Pharmaindustrie, entstanden. Nicht nur sind die Forschungsdienstleistungen von exzellenter Qualität: Auch wenn es mal sehr schnell gehen muss, wird geliefert, notfalls auch über das Wochenende. Der Forschungsdienstleister ist Vereinsmitglied eines erfolgreichen Bundesligavereins, der regelmäßig die Champions-League erreicht. Als der Verein den FC Barcelona in der Vorrunde zugelost bekommt, lädt der Forschungsdienstleister seinen Auftraggeber aus dem Dienstleistungseinkauf zum Besuch des Fußballspiels ein.
  • Lieferengpässe hinnehmen oder ein nicht genehmigtes Gefahrstofflager betreiben?
    Für bestimmte Bauteile benötigt ein Teilefertiger ätzende Reinigungsmittel, für deren Lagerung die Produktionsgenehmigung der zuständigen Behörde nur eine bestimmte Höchstmenge zulässt. In jüngerer Zeit kommt es immer wieder zu Lieferengpässen bei dieser Chemikalie. Ein Verbesserungsvorschlag eines engagierten Mitarbeiters fordert dazu auf, die Lagermenge zu erhöhen, um den drohenden Lieferverzögerungen entgegenzuwirken. Der Vorschlag würde das Problem sofort lösen, doch die genehmigte Höchstmenge an gelagerten Gefahrstoffen würde überschritten.

Und so sehen sich die Verantwortlichen in den Unternehmen immer wieder heiklen Situationen ausgesetzt. Gewissens- und andere Fragen stellen sich: „Ist es ok, wenn ich das tue?“ „Darf ich das annehmen?“ „Wo kann ich mich informieren, ob mein Vorhaben zulässig ist?“ Für angemessene Handlungssicherheit braucht es klare Regelungen, qualifizierte Ansprechpartner und definierte Berichtswege. Diese sorgen gleichzeitig für Transparenz – und sind gesetzlich gefordert.

Weil sich jedoch immer wieder zeigt, dass Gesetzesverstöße nicht allein durch Gesetze zu verhindern sind, soll das Insider-Wissen von Whistleblowern genutzt werden. Spektakuläre Beispiele wie Edward Snowden (NSA-Skandal) oder zuletzt Frances Haugen (Facebook-Whistleblower) belegen, dass es das Insider-Wissen von ethisch orientierten Personen braucht, um Straftaten und Machtmissbrauch auf die Schliche zu kommen. Der Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien ist das erklärte Ziel der „Whistleblower-Richtlinie“ der Europäischen Union, die mit dem 17.12.2021 in Kraft tritt.

Basiswissen Whistleblower-Richtlinie – und was künftig ansteht

  • Offizielle Bezeichnung der Whistleblower-Richtlinie: „Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“
  • Mit dem 17.12.2021 verpflichtend für Unternehmen sowie juristische Personen des öffentlichen Sektors (z.B. Behörden, Kommunen)
  • Wurde in Deutschland trotz Vorgabe nicht in ein nationales Gesetz überführt. In Rechtsfällen ist zu erwarten, dass Richter auf die EU-Richtlinie zurückgreifen, bis ein nationales Gesetz vorliegt
  • Kernforderung ist die Pflicht zur Einrichtung eines internen Meldesystems zur Entgegennahme von Hinweisen („Hinweisgebersystem“)
  • Wichtige Detailanforderungen an das einzurichtende Meldesystem:
  • Hinweise müssen schriftlich, telefonisch oder persönlich möglich sein
  • Das Meldesystem muss die Wahrung der Vertraulichkeit der Identität gewährleisten und den Zugriff unberechtigter Personen verhindern
  • Eingangsbestätigung nach spätestens 7 Tagen; Information an Hinweisgeber spätestens nach drei Monaten über die eingeleiteten Folgemaßnahmen Die für die Folgemaßnahmen zuständigen Personen sind vom Unternehmen zu benennen und entsprechend zu qualifizieren
  • Keine Repressalien gegen Hinweisgeber.

Das ist längst nicht alles, denn weitere Rechtsvorschriften kommen auf die Unternehmen zu. Exemplarisch sei auf das „Lieferkettengesetz“ verwiesen, das per 01.01.2023 zunächst für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeiter gelten wird. Ein anderes Beispiel ist der Entwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ aus dem Jahr 2020. Zwar steht längst nicht fest, ob ein solches Gesetz jemals Gültigkeit erlangt; deutlich wird jedoch, dass die Legislative zunehmend das Vertrauen in die Selbstregulierung der Unternehmen verliert.

Compliance reicht also weit in den Alltag hinein. Dabei sind es nicht nur Staatsanwälte und Gerichte, die Compliance verlangen.

Stakeholder erwarten Compliance

Längst erwarten Auftraggeber im b2b-Geschäft von ihren Lieferanten und Dienstleistern uneingeschränkte Gesetzestreue, also Compliance. Schon seit geraumer Zeit treffen große Unternehmen und Konzerne, zunehmend aber auch Mittelständler – von öffentlichen Auftraggebern nicht zu reden – ihre Kaufentscheidungen aufgrund des Legal Footprints der Anbieter: Wer etwa mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert wurde, Umweltstraftaten begangen oder illegale Beschäftigungsverhältnisse zu vertreten hat, gelangt als Zulieferer gar nicht erst in die engere Auswahl. Leicht zugängliche Quellen wie etwa das Wettbewerbsregister stellen Informationen über nachgewiesene Compliance-Fälle bereit. Zusätzlich machen Investoren und Rating-Agenturen Druck, indem sie mittlerweile Compliance hoch gewichten, wenn es Investitionsentscheidungen geht.

Auch im Endkundengeschäft wird Compliance zu einem ausschlaggebenden Faktor für den Kauf. Mögen aktuell Klimaschutz und CO2-Footprint die öffentlichen Diskussionen beherrschen, so will doch niemand mehr Produkte von Unternehmen erwerben, die direkt oder indirekt als korrupt gelten, die gegen Menschenrechte verstoßen (Beispiel Kinderarbeit) oder frauenfeindlich, homophob oder rassistisch agieren.

Und nicht nur der Markt will Compliance: Führungskräfte, Mitarbeitende und nicht zuletzt junge Talente kehren solchen Unternehmen den Rücken, die sich nicht an Gesetze halten. Die Skepsis ist groß, wie u.a. eine Studie der Hochschule Darmstadt in Kooperation mit der Kommunikationsagentur A&B One aus dem Jahr 2019 ergab:

  • 51% der befragten Führungskräfte (n = 351) gehen davon aus, dass es heute häufiger als vor 10 Jahren Missstände und Skandale in der Wirtschaft gibt
  • Die Befragten sehen bei der Einhaltung von Regeln und Gesetzen am häufigsten Verbesserungsbedarf, deutlich vor Nachhaltigkeit und Diversity. Dabei korreliert die Awareness mit der Hierarchie: Führungskräfte übergeordneter Ebenen setzen die Einhaltung von Regeln und Gesetzen häufiger auf Platz 1 als rangniedrigere Führungsebenen
  • Als Hauptursache nominieren 81% der Befragten die zu hohen Gewinnerwartungen bzw. zu hohe Zielvorgaben (77%).

Es zeigt sich: Compliance ist längst zu einer zentralen Säule der Wertschöpfung geworden. Aber oftmals bleibt das unbemerkt, denn unmittelbar betriebswirtschaftlich messbare Vorteile hat Compliance nur selten. Im Gegenteil, non-Compliance verschafft sogar mindestens kurzfristige Vorteile (siehe die konstruierten Praxisbeispiele oben). Mittel- und langfristig rechnen sich Gesetzesverstöße und ethisch fragwürdiges Handeln jedoch nicht: Umsatzeinbußen, ein für lange Zeit beschädigtes Image, Zurückhaltung und schlechtes Ranking bei Investoren und Kapitalgebern sowie Skepsis und Misstrauen bei Beschäftigten und solchen, die es werden sollten, sind die Konsequenz.

Also bauen wir ein „Compliance-Management-System“ auf und fertig? Leider nein, wie manch prominentes Beispiel beweist: Es braucht zusätzlich eine persönliche Einstellung, die ethisch orientiert ist. Ich spreche von „Integrität“, was vielleicht am ehesten mit unmodern gewordenen Ausdrücken wie „Rechtschaffenheit“ oder „Anstand“ übersetzt werden kann. Mittlerweile ist es auch im deutschsprachigen Raum üblich geworden, den Term „Integrity“ zu verwenden. Was das mit Compliance zu tun hat und wie Integrity mit Nachhaltigkeit zusammenwirkt, möchte ich in Teil 2 dieser kleinen Serie aufzeigen.

 

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Dr. Guido Wolf,
Kommunikationsforscher

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