Agieren statt reagieren in Zeiten von Corona_#79

von | 23/03/2020 | 4 Kommentare

Teil 1: Fire Fighting, Reset und Mitigation

Ausnahmezustand allerorten. Die Corona-Krise wirft existenzielle Fragen – und nicht selten: Fragen der Existenz – auf; stellt uns permanent vor neue Probleme, weil immer wieder Selbstverständlichkeiten kollabieren; konfrontiert uns mit unvorhergesehenen Hindernissen und schwerwiegenden Konsequenzen: Es ist die Zeit der roten Telefone. Angesichts der Ausmaße dieser realen Krise werden die in den letzten Jahren geführten Diskurse über VUCA, Disruption und Co. zur Sandkastenspielerei: Mehr Disruption als jetzt war nie. Viele Unternehmen und Führungskräfte können derzeit nur noch reagieren. Aus Macht- wird Hilflosigkeit, Verzweiflung oder gar Resignation scheinen durch. Niemand weiß, wie lange dieser Alptraum dauern wird. Kein Kraut dagegen gewachsen? Doch.

Was mir auffällt: Wenn es mal nicht um Fallzahlen und virologisch geprägte Einschätzungen geht, werden die neue Solidarität und Nachbarschaft, die plötzliche Rückbesinnung auf das Eigentliche herausgestellt. Diese Wiederentdeckung der Menschlichkeit ist mehr als notwendig und ohne Einschränkungen zu begrüßen. „Alle Menschen werden Brüder“, textet Friedrich Schiller in Ludwig van Beethovens Ode an die Freude, die ich am Sonntagabend mit meinen Nachbarn in unserer Straße gesungen habe (seien Sie froh, dass Sie dem entgangen sind).

Doch nicht so häufig begegnen mir Ansätze, die rational und kühl dem unternehmerischen Handeln Orientierung und Struktur bieten können. Das aber sind wesentliche Voraussetzungen für ein Wiedererlangen von Souveränität und Handlungsfähigkeit. Dabei stehen geeignete Instrumente durchaus zur Verfügung, bereitgestellt vom „Krisen- und Notfallmanagement“. In diesem zuweilen eher als nachrangig betrachteten Aufgabenfeld wurden und werden Prozesse, Strukturen und Kompetenzen für das Management von Krisen, Notfällen oder Katastrophen vorgehalten, die gerade jetzt ihren Nutzen ausspielen können. Ein Prinzip möchte ich besonders hervorheben: das Prinzip der Mitigation.

Phasenmodell und Mitigation: frühzeitig die neue Normalität vorbereiten

„Mitigation“ steht für „Linderung, Entschärfung, Abschwächung“. Gemeint ist, dass in einem akuten Ausnahmezustand Maßnahmen getroffen werden, die die kurz- und langfristigen Negativfolgen der Krise reduzieren. Aus Reagieren wird zunehmend Agieren, die Zeit nach überwundener Krise gerät in Blickfeld. Das sei anhand eines Phasenmodells, das ich aus dem Krisen- und Notfallmanagement ableite, näher erläutert.

Phasenmodell und Mitigation

Phasenmodell und Mitigation

Phase 1: Fire Fighting

Selbstverständlich muss nach einem Ereignis, das die Fortsetzung des ursprünglichen Normalbetriebs (in der Abbildung als „Normalbetrieb 1.0“ geführt) nicht mehr zulässt, zunächst das Notwendige getan werden. In einem solchen Ausnahmezustand wie er derzeit allerorten herrscht, geht es um nichts anderes als um „Fire Fighting“. Nur einige wenige Aspekte mögen die akute Situation skizzieren:

  • Zulieferketten wie Absatzstrukturen kollabieren. Allerorten muss gerettet werden, was noch irgendwie zu retten ist – und das im Wettlauf gegen die Zeit. Denn aus der Corona-Krise ist längst eine jedes Unternehmen und letztlich jede Person betreffende Finanzkrise geworden, die – wo noch nicht geschehen – früher oder später in eine Liquiditätskrise übergehen wird.
  • Strukturen und Prozesse müssen neu gedacht werden, bewährte Führungsprinzipien und Entscheidungsprozeduren werden obsolet. Doch all das kann nicht sorgfältig konzipiert und behutsam implementiert werden: Alles muss sofort passieren – und funktionieren. Aber gerade jetzt, wo Kommunikation erneut zur entscheidenden Ressource wird, kann diese nur unter Schwierigkeiten oder über technische Übermittlungssysteme stattfinden. Das ist besser als nichts und mancherorts stehen ausgefeilte, attraktive und schnell nutzbare Social Media zur Verfügung. Die gerade jetzt dringend erforderliche persönliche Kommunikation wird dennoch nur unzulänglich ersetzt.
  • Insbesondere in Produktionsunternehmen entstehen Parallelwelten: Tätigkeiten, die nur durch Bedienen von Technik und Einsatz vor Ort verrichtet werden können, erzwingen Anwesenheit im Betrieb; alle anderen Tätigkeiten werden so weit wie möglich ins Home-Office ausgelagert. Diese Situation wird als 2-Klassen-Gesellschaft erlebt, was zu Spannungen in der Belegschaft führen kann. Denn jene, die unmittelbar wertschöpfende Tätigkeiten ausführen, können eben nicht aus dem (sicheren) Home-Office arbeiten.
  • Neue Arbeitskontexte im Home-Office ohne persönliche Begegnungen, neue und kaum geübte Arbeitstechniken zur Selbststeuerung, Führung aus der Distanz und zunehmend überlastete Infrastrukturen, die sich zudem nur als bedingt geeignet erweisen – aus persönlicher Erfahrung seien allein die gängigen Konferenzsysteme genannt, die keineswegs reibungslos und kinderleicht zu nutzen sind – : Das alles sorgt für immer neue Störungen. Es sind nicht nur die Mitarbeitenden, die sich zurecht finden müssen, es sind auch Führungskräfte, die jetzt erkennen, dass ihr Führungshandeln oftmals physische Präsenz voraussetzt.
  • Und das alles wird überlagert von einer dünner werdenden Finanzdecke: Die Aktienkurse rauschen ab, Einnahmen bleiben aus, Liquidität wird zunehmend prekär.

Ich bin sicher, dass Sie ohne nachzudenken zahllose weitere Merkmale beizusteuern wüssten. Jedoch hilft es nicht weiter, die Situation immer detaillierter zu beschreiben: Wir müssen zurück zum souveränen Handeln finden. Und das hat längst begonnen, auch wenn es nicht so scheinen mag. Wenn es schließlich gelingt, aus der Distanz die Kollaborationsplattform für alle Home-Office-Arbeitenden zugänglich zu machen; wenn die Zulieferpartnerschaft gesichert werden konnte und die Absatzstrukturen stabilisiert wurden; wenn der Überbrückungskredit zu günstigen Konditionen in der Tasche ist: Dann hat Mitigation gewirkt.

Phase 2: Reset

Fire Fighting erfordert entschlossenes Handeln, um zumindest die essentiellen Voraussetzungen für die eigene Existenz zu sichern. Und doch beginnt sich so etwas wie ein neuer Alltag einzustellen: die Zeit der Krisenorganisation bricht an. Spätestens jetzt sollten die Entscheidungen und Handlungen am Prinzip der der Mitigation orientiert sein. Sukzessive, mit viel Engagement und Kreativität werden Hindernisse aus dem Weg geräumt, erledigt man Aufgaben, findet sich zunehmend besser zurecht, hat erste Erfolge – und beginnt vielleicht sogar einige Aspekte der neuen Situation wertzuschätzen. Auch wenn das fraglos niemand herbeigesehnt hat, wird die Krisenorganisation zu einer neuen Normalität.

Genau das meine ich mit „Reset“: Es beginnt eine Phase unter Krisenbedingungen und fern vom Normalbetrieb, in der dennoch die Funktionsfähigkeit aufrechterhalten bleiben muss.

Reset heißt nicht nur, dass die Organisation unter Krisenbedingungen aufrechterhalten bleibt. Weiterhin gilt das Prinzip der Mitigation und zusätzlich hebt sich der Blick in eine Zeit, in der die Pandemie als weitgehend überstanden gelten darf. Dann werden 2 eigentlich gegenläufige Wege zu vereinbaren sein:

  1. Zum einen wird eine Rückkehr zu den alten, bewährten Strukturen, Prozesse und Netzwerke angestrebt.
  2. Zum anderen wird es ein einfaches Zurück nicht geben können: Zu gravierend dürften die Corona-Folgen sein.

Wir sollten davon ausgehen, dass diese Phase noch einige Zeit andauert, bevor der Übergang zu so etwas wie Normalität möglich wird. Diese Normalität wird definitiv nicht identisch mit jener sein, die noch vor wenigen Tagen galt. Deshalb spreche ich vom „Normalbetrieb 2.0“.

Sicherlich werden nur in einzelnen Fällen komplett neue Geschäftsmodelle etabliert. Aber auch im voraussichtlich häufigsten Fall, nämlich dem, dass die bisherige Unternehmensausrichtung grundsätzlich erhalten bleibt, werden Lieferketten und Absatzkanäle neu zu definieren sein. Manche Notlösungen, geboren aus der Krise und bewährt in der Phase der Krisenorganisation, entpuppen sich als lohnende Errungenschaft auch für den künftigen „Normalbetrieb 2.0“.

Daraus ergeben sich neue Aufgaben für das Management, die sinnvollerweise schon jetzt anzugehen sind. Welche? Dazu werde ich im nächsten Blog-Post, der in Kürze erscheint, einige Vorschläge unterbreiten.

4 Kommentare

  1. Hans J. Beins

    Lieber Guido,
    auch wenn wir in unserem Verein z.Z. einiges mit “fire fighting” zu tun haben, finde ich es hilfreich, den Kopf zu heben. Leider sehe ich beim Blick über Landesgrenzen noch riesige Brände, die es zu löschen gilt… Trotzdem danke ich für Deine Anregungen – beim Blick in die Ferne kommt “reset” schon mal ein wenig in den Blick…
    Gibt es Deinen Gesang nicht auf YouTube?
    Ich freue mich auf die angekündigten Vorschläge! Hans

  2. Dr. Guido Wolf

    Lieber Hans, vielen Dank. Den Gesang kann es schon deshalb nicht auf Youtube geben, weil das zu zahlreichen Klagen auf Körperverletzung führen dürfte. Und Gesundheit geht nun mal vor, erst recht dieser Tage.

  3. Stefanie Voss

    Lieber Guido,
    mich beschäftigt, wie wir “das Gute in der Krise” in der Resetphase erhalten können, so dass es auch im Zustand 2.0 erhalten bleibt. Die Bereitschaft sich reinzuhängen, ungefragt zu helfen, Dinge möglich zu machen, die vorher so nicht möglich waren. Wie schaffen wir es, das zu mitigieren? Dazu wäre ein weiterer Blogpost sicherlich interessant – falls Dir die Themen ausgehen sollten … 🙂
    Grüße, Stefanie

    • Dr. Guido Wolf

      Liebe Stefanie, vielen Dank. Just darum wird es im weiteren gehen: Wie können wir Erfahrungen und Learnings sichern und in den zukünftigen, fraglos neuen Normalbetrieb transformieren? Ich hoffe, dass ich den hohen Erwartungen gerecht werde…

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Dr. Guido Wolf,
Kommunikationsforscher

Unternehmensberater – Trainer – Moderator – Coach

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