Ohne Drumherum wird’s schwer_#60

von | 15/07/2017 | 0 Kommentare

Warum kommunikative Verständigung auf geteiltem Kontext basiert

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Auto auf dem Beifahrersitz. Auf dem Fahrersitz befindet sich Ihre junge Tochter, die demnächst ihre erste Fahrstunde für den Führerschein haben wird. Es geht darum, auf einem Privatgelände allererste Kenntnisse über die Bedienung des Autos zu vermitteln: Bremse und Gas, Schalten, Lenken, Blinker, Scheibenwischer usw. Sie erklären, weisen auf die Bedienelemente und weil ein bisschen Platz ist, soll die Fahrnovizin neben Ihnen sogar ein paar Meter fahren (natürlich nur auf dem Privatgelände). Nach 3x Abwürgen klappt es sogar und weil es regnet, gelingt es obendrein, den Scheibenwischer in Gang zu setzen. “Das macht aber Spaß”, freut sich die Tochter, und bedankt sich für die guten Erläuterungen. Recht hat die junge Dame, denn Sie haben sich in Ihren Schilderungen darauf eingestellt, dass es für den Anfang nicht zu kompliziert oder detailliert wird: Einer präzisen Schilderung der technischen Funktionsweise eines Verbrennungsmotors bedarf es in dieser Situation nicht.

Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie würden die Bedienung des Fahrzeugs derselben Person mit denselben Worten erklären, aber ohne dass Sie beide im Auto sitzen oder auch nur Fotos des Fahrzeuginnenraums mit den Bedienelementen vor sich hätten.

Sicherlich sind wir uns einig, dass sich auf keinen Fall dieselbe Verständigung erzielen ließe und Spaß stellte sich vermutlich auch nicht ein. Worauf ich hinauswill: Präzise Wortwahl und zielgruppengeeignete Ansprache sorgen nicht automatisch (sic!) für Verständigung. Es ist vielmehr der Kontext, also das materielle Umfeld, das die Verständigung erfolgreich macht. Ich kann auf etwas zeigen, während ich erkläre (“das ist der Blinkerhebel”), die andere Person kann dasselbe tun, um Rückfragen zu stellen (“ach so, aber wenn das der Blinker ist, wo ist dann nochmal der Scheibenwischerhebel?”) und aufgrund der gemeinsam erlebten Ausführung von Handlungen können begleitende Erläuterungen helfen (“nicht so viel Gas geben und die Kupplung langsamer kommen lassen!”).

Geteilter Kontext ermöglicht Verständigung

Wir halten fest: Verständigungserfolg ist eher möglich, wenn es gemeinsame Bezugs- bzw. Referenzpunkte gibt. Sind diese Referenzpunkte materieller Art und befinden wir uns zur selben Zeit am selben Ort, dann ist es am einfachsten: Wir können auf das zeigen, das wir soeben erklären, wir können vielleicht eine gemeinsam erlebte Erfahrung ansprechen etc. Das, auf das wir uns kommunikativ beziehen, fungiert als Referenzpunkt: Wir referenzieren auf etwas (referre = sich auf etwas beziehen). Alle für die konkrete Kommunikationssituation relevanten Referenzpunkte zusammen bilden den Kontext.

Doch auch dann, wenn wir keine geteilte, materiell basierte Wahrnehmungssituation zur Verfügung haben, kann es verständigungserleichternden Kontext geben. Man denke an ein Telefonat wie in diesem Beispiel:

  • Ich bemerke leider erst eine Stunde nach Aufbruch zu einer mehrtägigen Dienstreise, dass ich meine Lesebrille zu Hause vergessen habe. Oder habe ich sie auf dem Weg zum Auto verloren?
  • Schnell rufe ich meine Frau auf ihrer Arbeitsstelle an und bitte sie: “Wenn Du nachher zu Hause bist, dann schau doch bitte auf meinem Schreibtisch nach, ob dort meine Brille liegt. Falls nicht, dann schau bitte auf dem kleinen Schränkchen links von der Garderobe. Letzte Hoffnung ist dann noch der Weg zwischen Haus und Parkplatz, aber diesmal habe ich die rechte Treppe genommen.”
  • In einem solchen Telefonat kann ich davon ausgehen, dass meine Frau im selben Moment wie ich eine (räumliche) Vorstellung hat, wo sie suchen soll. Beide befinden wir uns nicht am fraglichen Ort, aber beide wissen wir hinreichend darüber und außerdem wissen wir, dass der andere weiß.

Deutlich wird, dass die Verständigung über das zu Erledigende nur unter Bezug auf den in diesem Beispiel immateriellen, weil nur imaginiert geteilten Kontext (weder meine Frau noch ich befinden uns zum Zeitpunkt des Telefonats in den Räumlichkeiten) gelingen kann.

Warum es nicht ausreicht, sich klar auszudrücken

Ob Führungskraft oder Mitarbeiter, alle müssen permanent kommunizieren, um ihren Aufgaben nachkommen zu können. Deshalb werden in den Unternehmen seit vielen Jahren nahezu flächendeckend Kommunikationstrainings über alle Organisationsebenen angeboten. Vermittelt werden Prinzipien wie diese:

  1. Mach Dir vor Deiner Äußerung das Ziel Deiner Kommunikation klar.
  2. Rede klar, verständlich und nicht zu kompliziert.
  3. Nutze zur Unterstützung Deines Sprechens Deine nonverbalen Möglichkeiten.

Nichts daran ist falsch, aber es greift zu kurz. Was jedoch allzu häufig ausgeblendet wird, ist die Notwendigkeit eines geteilten Kontextes, sei er materieller oder immaterieller Art (oder eine Mischform daraus). Selbst die perfekteste Mitarbeiteransprache erreicht wenig, wenn es keinen geteilten Kontext gibt. Diese Erkenntnis hat Folgen – übrigens nicht nur für die Kommunikation im Betrieb.

Grundsätzlich gilt: Vor dem Kommunizieren sollten wir überlegen, welchen Kontext wir mit unseren Kommunikationspartnern teilen und was daran unstrittig ist. Eine Auswahl von Fragen und Aspekten, die bei der Kontextklärung helfen können:

  • Welches Vorwissen kann ich beim Anderen voraussetzen rund um das, was ich mitteilen möchte
    • Wenn ich mir unsicher bin: Wie kann ich das durch kurze Fragen zu Beginn der Kommunikation (oder sogar vorher) klären?
  • Welche geteilten materiellen oder immateriellen Referenzpunkte gibt es, auf die ich mich während der Kommunikation stützen kann?
    • Beispiele: ein gemeinsam betrachtetes Objekt; eine im Moment der Kommunikation geteilte Erfahrung (etwa: eine Umgebungsbedingung ändert sich und wir beide spüren es); eine geteilte Erinnerung; ein geteiltes Vorwissen, das ich zu Recht als beim Anderen verfügbar annehmen kann.
  • Welche Aspekte des geteilten Kontextes sind unstrittig, welche nicht?
    • Geteilter Kontext ist nicht gleichzusetzen mit übereinstimmender Auffassung: sehr wohl können wir fachlich über denselben Kenntnisstand verfügen, aber dennoch unterschiedliche Auffassungen über die Bewertung, über die zu ziehenden Konsequenzen etc. haben.

Diese Fragen und Aspekte markieren lediglich den Beginn der Auseinandersetzung mit dem geteilten Kontext. Je nach Situation und abhängig von den kommunikativen Absichten werden weitere, ebenso wichtige Aspekte zu klären sein, damit die kontextualen Voraussetzungen für einen maximal möglichen Verständigungserfolg in der Kommunikation zur Verfügung stehen.

Kommunikation erfordert Kontext-Management

Die Sache mit dem Kontext lässt sich auch so ausdrücken: Mit unseren Äußerungen fordern wir eigentlich permanent dazu auf, die Aufmerksamkeit auf materielle oder immaterielle Bezugspunkte zu lenken. Der Kommunikationspartner muss also zum Gesagten ständig etwas hinzufügen: sein Vorwissen, seine Kenntnisse oder auch seine unmittelbaren und direkten Sinneseindrücke (insbesondere bei geteilten materiellen Referenzpunkten). Damit besteht Kommunikation nie nur aus dem, was wir an der Oberfläche wahrnehmen, also den geäußerten Wörtern und ihrer nonverbalen Begleitung. Kommunikation wird daneben und darüber hinaus getragen durch eine hochkomplexe Koordination von Kontext. Je besser diese Koordination gelingt, umso wahrscheinlicher ist Verständigung. Damit lässt sich folgern: Erfolgreiche Kommunikation erfordert immer auch Kontext-Management.

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Dr. Guido Wolf,
Kommunikationsforscher

Unternehmensberater – Trainer – Moderator – Coach

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